Eva Menasse ist eine der Sprecherinnen des Autorenverbands. Sie glaubt, in Deutschland herrsche ein Klima kultureller Hysterie. Man brülle einfach immer nur «pro Israel».
Paul Jandl
4 min
Wie nervös der deutsche Kulturbetrieb ist, wenn es um die Terrorattacken der Hamas auf Israel vom 7.Oktober geht, konnte man vor ein paar Tagen sehen. Fast zeitgleich gingen zwei Statements an die Öffentlichkeit, die jedes für sich einen Standpunkt markieren. Zum einen distanzierte sich die Schriftstellerin Sharon Dodua Otoo mit deutlichen Worten von ihrer früheren Unterstützung der «Artists for Palestine UK», einer britischen Initiative, die auch noch nach den Angriffen der Hamas ihre propalästinensische und israelfeindliche Propaganda fortführte.
Zum anderen forderte Eva Menasse, Schriftstellerin und eine der Sprecherinnen des PEN Berlin, «Gesinnungsschnüffelei auf Unterschriftenlisten» zu unterlassen. Was beide Dinge miteinander zu tun haben? Vor kurzem war Sharon Dodua Otoo der Bochumer Peter-Weiss-Preis zugesprochen worden. Dann wurde bekannt, dass sie 2015 auf einer Unterstützungsliste für Artists for Palestine UK unterschrieben hatte. Ein Aufruhr ging durch die Medien, mit dem Ergebnis: Otoo findet ihr früheres Engagement heute anrüchig und teilt damit die Meinung ihrer Kritiker. Eva Menasse hingegen ortet bei ebendiesen Kritikern «Gesinnungsschnüffelei».
Abstruse Logik
Wie problematisch ist es, wenn Künstler die Meinungen von Organisationen wie Artists for Palestine oder der antisemitischen Israel-Boykott-Vereinigung BDS auch nach dem 7.Oktober teilen? In offiziellen PEN-Meldungen und Interviews legt Eva Menasse den Begriff der Meinungsfreiheit ziemlich weit aus, während Sharon Dodua Otoo in ihrem Statement klare Grenzen gezogen hat: Sie würde besagte Initiativen «heute nicht mehr unterzeichnen» und bemühe sich «mit anwaltlicher Unterstützung», ihren Namen von der Liste zu entfernen.
Im Wortlaut sagte Otoo: «Mein Entsetzen und meine Abscheu über die fürchterliche Gewalt der Hamas war und ist eindeutig. Nichts kann diese Gewalt rechtfertigen. Ich bedaure zutiefst, dass es uns, die nicht persönlich betroffen sind, nicht gelungen ist, unser Beileid und unsere Solidarität sichtbarer und hörbarer zu machen, dass viele jüdische Menschen auch hier in Deutschland sich alleingelassen fühlen müssen.»
Man muss sich die Frage stellen: Welche Probleme hat der PEN Berlin damit, ähnlich klare Stellungnahmen zu verfassen? Als Sprecherin des PEN Berlin hat Eva Menasse in der Causa Otoo zu einer irritierenden Formulierung gefunden: «PEN Berlin spricht sich grundsätzlich gegen jeden politisch motivierten Boykott von Kunst und Kultur aus. Der Ansatz von BDS ist falsch und mit den Werten der PEN-Charta unvereinbar. Ebenso falsch aber ist, diesen verfehlten Ansatz nun gegen seine Anhänger zu wenden.» Das ist eine schwindelerregende Logik, die in klaren Worten ja nur eines heissen kann: Wenn der BDS antisemitisch ist, dann darf man seinen Anhängern nicht vorwerfen, dass sie diesen Antisemitismus gut finden. Ist das die Meinungsfreiheit, die der PEN Berlin heute verteidigen will?
Beim PEN Berlin, der erst vor einem Jahr als Abspaltung vom gesamtdeutschen PEN gegründet wurde, gibt es unterdessen erste Austritte. Der renommierte Verleger Ernst Piper hat den Schriftstellerverein verlassen, weil seine Führung in «selbstherrlicher Verachtung über Israel» spreche. Die Schriftstellerin Julia Franck und die Journalistin Ramona Ambs haben dem PEN Berlin ebenfalls unter Protest den Rücken gekehrt.
Für eine zusätzliche Provokation hat Eva Menasse am Dienstag in einem Interview mit der «Berliner Zeitung» gesorgt. Sie sagte darin, dass sich die Ausgetretenen nur «15 minutes of fame» holen wollten, «um einem jungen Verein zu schaden, der bisher in sehr kurzer Zeit wirklich solide kulturpolitische Arbeit geleistet hat».
Politische Schlagseite
Ausgerechnet ein Verein, der sich aus Schriftstellern zusammensetzt, scheint ein Problem mit der Sprache oder zumindest mit Sprachregelungen zu haben. Während auf der einen Seite die Meinungsfreiheit so weit hochgehalten wird, dass auch der Antisemitismus darunterpasst, übt sich die PEN-Sprecherin Eva Menasse gegenüber anderen missliebigen Stimmen in brachialer Rhetorik: Der österreichischen Wochenzeitung «Falter» sagte sie vor ein paar Tagen, also deutlich nach dem Terrorangriff der Hamas: «In Deutschland gibt es in den letzten Jahren ein erstaunliches Anwachsen kultureller Hysterie. Die mit Scheuklappen einfach immer nur ‹pro Israel› brüllt.»
Und dann wird noch ein klassisches Denkmuster bedient, das sich bei linken und rechten Feinden Israels grosser Beliebtheit erfreut. Eva Menasse: «Die Enkel der SS-Männer sind psychologisch immer noch so unter Druck, für die Verbrechen der Grosseltern zu sühnen, dass sie beim Thema Israel überhaupt nicht differenzieren können.»
Wie der PEN Berlin beim Thema Israel differenziert, kann man dann nächste Woche bei einem Kongress in der deutschen Hauptstadt sehen. Keynote-Speakerin wird A.L.Kennedy sein. Die britische Schriftstellerin ist Unterstützerin des BDS. Der BDS kämpft dafür, proisraelische Künstler und Meinungen zu boykottieren. Die Pirouetten des PEN Berlin in Sachen Meinungsfreiheit sind wirklich sehenswert. Mit ihrer politischen Schlagseite sind sie allerdings kein schöner Anblick.
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