Die Olive: Eine Frucht mit Verführungskraft (2024)

Ein «Weiser würde für ein Dutzend Oliven öffentlich ein Dutzend Räder schlagen, sogar ohne Hosen», wusste schon Michel de Montaigne im 16.Jahrhundert. Seit seinen Tagen haben die kleinen Fettfrüchtchen nichts von ihrer Verführungskraft eingebüsst.

Samuel Herzog (Text und Bilder), Susanne Vögeli (Rezept)

5 min

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Die Olive: Eine Frucht mit Verführungskraft (1)

Also, noch drei, dann ist Schluss! Vorsichtig schüttle ich das Trio aus schrumpeligen Früchtchen auf mein Tellerchen, dessen Weiss schon arg von dunkelbraunen, fettigen Schlieren durchzogen ist. Ich wische mir die Finger an einer Papierserviette sauber, falte die Öffnung der kleinen Plastiktüte zu und setze die Wäscheklammer auf. Ich trage den Plastikbeutel in die Küche und stelle ihn in den Kühlschrank zurück. Mit einem kurzen Schmatzen schliesst sich die Türe. Vakuum. Dunkelheit. Punkt.

Zwei Minuten später taucht eine Hand auf – nein, ich kenne die nicht! Sie zerrt an dem Griff, das Licht springt an, Finger greifen nach dem Plastikbeutel, zippen die Klammer weg, nesteln die Öffnung auf, gierig schieben sich Tentakel tief in die tintenfarbene Tüte hinein, bis sie einen der kleinen Fettäpfel zu fassen bekommen, dann einen zweiten...

Sigmund Freuds kränkende Diagnose, dass wir nicht Herr sind im eigenen Haus, gilt insbesondere für den Quadratmeter vor dem Kühlschrank, namentlich wenn da in der lichtlosen Kälte ein paar Oliven danach brüllen, von uns ans Licht der Welt, an die warme Liebe unseres Gaumens befreit zu werden. Meinen Verstand haben vor allem die Olives à la grec fest im Griff, kleine, nahezu schwarze, runzelige Früchtchen mit einer butterigen Textur, salzig, mit kräftigem Aroma. Dass diese Oliven so gut wie nie aus Griechenland kommen, ist mir dabei herzlich egal.

Überhaupt sind es gar nicht unbedingt die klassischen Anbauländer von Olea europaea, welche die besten Speiseoliven fabrizieren. In Asia-Shops kaufe ich mir manchmal ein Gläschen mit einer blauen rätselhaften Etikette, in dem sich, umschnurrt von etwas Gemüse, Oliven «Made in China» tummeln, deren Genuss mir regelmässig beide Augen zudrückt. Und die überzeugendsten Apéro-Oliven habe ich in Senegal gegessen, wo bestimmt keine hundert Ölbäume stehen. Die Basis bildeten da entsteinte Dosenoliven lieblosester Qualität, die jedoch von den Köchen in Dakar mit Öl, Senf, Gewürzen und Gemüsestückchen in überaus charmante Miniaturen verwandelt wurden – perfekte Passstücke für einen Sonnenuntergang auf der Corniche, begleitet von einer Gazelle.

Dem grossen Geschichtsbuch der Olive allerdings dürften China und Senegal kaum eine Fussnote wert sein. Die Historie nimmt noch in der Steinzeit im Vorderen Orient ihren Anfang, wo wild gesammelte Oliven mit auf dem Speiseplan standen. Man vermutet, dass der Ölbaum schon vor fünftausend Jahren oder noch früher im syrisch-palästinensischen Raum in Kultur genommen wurde und sich von da aus über den ganzen Mittelmeerraum verbreitete. In der griechischen und römischen Kultur war der Anbau von Oliven von zentraler Bedeutung, Cato widmet ihm in seinem Buch über die Landwirtschaft mehr Raum als jedem anderen Gegenstand.

Über die Jahrhunderte hinweg entwickelte man zahllose, oft gut an die jeweiligen Standorte angepasste Sorten. Einige eignen sich eher für die Gewinnung von Öl, andere eher für Speiseoliven, manche werden besser grün und unreif geerntet, andere, wenn sie schwarz und reif sind.

Wer je eine Olive frisch vom Baum in den Mund genommen hat, weiss hernach, dass diese Frucht in besonderem Masse nicht nur ein Produkt der Natur ist, sondern ebenso der Kultur. Ehe Oliven genossen werden können, müssen sie wenigstens in Salzlake eingelegt werden, was eine bakteriologische Milchsäuregärung bewirkt und ihnen einige Bitterstoffe entzieht. Im Verlauf der Zeit haben sich zahllose weitere Verfahren entwickelt, die sehr unterschiedliche Spezialitäten hervorbringen.

Die Olive: Eine Frucht mit Verführungskraft (3)

Olivenöl ist aus den Küchen des Mittelmeerraumes nicht wegzudenken und spielt auch an den Herden des Nordens längst eine wichtige Rolle. Doch auch die ganzen Früchte des Ölbaums sind eine bedeutende Zutat. Mal werden sie zu Pasten verarbeitet oder in Brote integriert, oft auch einfach aufgelegt, wie etwa bei Salaten (mit Thunfisch, Käse) oder Pizza. Manchmal werden die Früchte aber auch richtiggehend mitgekocht oder mitgeschmort. Rinderzunge in weisser Sauce mit Oliven und Zitrone gehört zu den Gerichten, deren Genuss mich völlig verstummen lässt. Besonders zahlreich sind Rezepte für Tomatensaucen, bei denen Oliven eine Rolle spielen (Spaghetti alla puttanesca, Sugo alla marinara). An der Frage, ob man die Oliven besser mit oder ohne Stein verkocht, scheiden sich die Geister des guten Geschmacks. Amor würde einer Variante ohne Stein den Vorzug geben: Ein Freund von mir nämlich hat das Herz seiner Zukünftigen dadurch erobert, dass er beim ersten Date für seine Spaghetti al tonno in mühseliger Kleinarbeit die Steine aus schwarzen Oliven löste.

Die Olive: Eine Frucht mit Verführungskraft (4)

Die Hauptgeschäftszeit der Olive aber bleibt der Apéritif. Oft werden die Früchte da ganz schnörkellos aufgestellt, manchmal aber auch mit allerlei Tricks und Kniffen aufgepimpt. Wobei diese Zubereitungen nur selten so weit gehen wie im Fall der Olive royale, die sich Louis XIV. gerne gegönnt haben soll: Man nehme eine reife Olive und lege sie in eine Wachtel, die Wachtel stopfe man in eine Wacholderdrossel, die Drossel in einen Fasan, den Fasan in ein Spanferkel. Das Schweinchen brate man, bis es knusprig ist, dann schäle man alles Fleisch ab und esse nur die Olive.

Welche Zurückhaltung! Einer Majestät mit solch eiserner Disziplin hätten sicher sogar die Stoiker applaudiert, die laut Michel de Montaigne der Auffassung waren, der Mensch könne sich einen ganzen Tag lang mit nur einer Olive erhalten.

Für alle Normalsterblichen aber gilt, dass sie sich vor den schönen Früchtchen in ihrem Kühlschrank in acht nehmen müssen, denn sonst passiert schnell, wovor 1894 schon das Appetit-Lexikon warnt, dass nämlich «der Magen schliesslich die Zeche für den Gaumen bezahlen muss».

Olivenpfeffer

Die Olive: Eine Frucht mit Verführungskraft (5)

Die Pfeffermischung mit den weichen Olivenstücklein macht aus jedem fertig gekauften Lebensmittel etwas Exklusives – sei es ein kleiner Frischkäse oder eine aufgeschnittene Tomate. Besonders verblüffen die salzigen Streusel auf einem Schnitz Melone. Für ein kleines Schälchen

Zutaten

  • 1 EL schwarzer Pfeffer, also ca.10 g
  • 1 EL weisser Pfeffer, ca.10 g
  • 1 TL rosa Pfeffer, ca.3 g
  • 4 EL trockene, schwarze Oliven, entsteint, fein gehackt, ca. 70 g
  • 1 EL Thymianblättchen, gezupft

Schwarze und weisse Pfefferkörner im Mörser grob brechen, nicht pulverisieren.

Rosa Pfefferkörner, Oliven und Thymian dazu mischen. In einem Glas kühl lagern.

Passt zu gebratenem Fleisch, Röstgemüse vom Blech, Frischkäse und Melonen.

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